Von PROF. DR. EBERHARD MECHELS
Vortrag in Rommerskirchen, 25.10.2015
Wenn wir diese Stabilisierungsfunktion von Institutionen auf das Verhältnis von Kirche und Gemeinden übertragen, dann handelt es sich um die Beziehung zwischen der Sozialform „versammelte Gemeinde“ und der Institution Kirche. Und gemäß evangelischem Verständnis von „Kirche“ bedeutet das: alle Ebenen und Formen der Institutionalisierung haben die Funktion, durch ihre Stabilität die Aktualität des Ereignisses „Gemeinde“ auf Dauer zu ermöglichen, besser gesagt (denn die Ermöglichung der Gegenwart Gottes in der Gemeinde ist Gottes Sache allein): dem Ereignis „Gemeinde“ den Raum freizuhalten. Das beginnt mit der Verabredung: Wir versammeln uns am Sonntag um 10 Uhr in der Kirche, oder: Das Gemeindebüro hat geöffnet Montag, Mittwoch und Freitag von 9 bis 13 Uhr, es setzt sich fort über Kirchenkreis und Landeskirche bis zur EKD. Wichtig in unserem Zusammenhang ist, was Manfred Josuttis so formuliert: „Der entscheidende Vorsprung von Gemeinde … gegenüber der Organisation/Institution ist für die phänomenologische Wahrnehmung offenkundig: In der Gemeinde wird das realisiert, was die Kirche zum Leib Christi macht.“
Was Josuttis als „Vorsprung“ beschreibt, ist der Sache nach eine eindeutige Zuordnung und Priorität: Alle institutionellen kirchlichen Strukturen haben dem zu dienen und das zu fördern, was in der versammelten Gemeinde geschieht. Denn sie ist die „Gemeinde, in der Jesus Christus … gegenwärtig handelt“. Sie ist das Sakrament seiner Gegenwart. (Barmer Erklärung, These 3) Die Geschichte der protestantischen Kirche lässt sich beschreiben als eine ständige Auseinandersetzung zwischen der Institution „Kirche“ und dem Ereignis „versammelte Gemeinde“.
Es handelt sich also hier um die Beziehung zwischen der „Gemeinde“ im reformatorischen Sinne des Wortes und der Institution Kirche. Gemeinde – das ist die Versammlung, neutestamentlich: die „ekklesia“ als ein Geschehen, als Akt der Begegnung Gottes mit den versammelten Menschen und der Menschen miteinander. Geschehende Begegnung ist etwas Aktuelles, Bewegtes, Flüchtiges. Da geht es um „weiche“ Faktoren. Institution – das sind die Konsistorien, die kirchlichen Behörden, die Verwaltungen, die Landeskirchenämter, das EKD-Kirchenamt. Institutionen sind etwas Dauerhaftes, Stabiles. Das sind „harte“ Faktoren.
Die Auseinandersetzung zwischen diesen beiden Größen erreichte ihren vorläufigen Höhepunkt in dem im „Impulspapier“ 2006 erhobenen Anspruch, dass die Institution EKD „die Kirche als solche“ ist (S. 38). Die Kirchenmitglieder in ihrer Mehrheit, so wird behauptet entgegen allen 5 von der EKD seit 1972 veranstalteten Stabilitäts-Umfragen, „wollen nicht zuerst Gemeindeglieder oder Landeskirchenkinder sein, sondern (!) evangelische Christen.“ Die Richtung der ganzen Argumentation ist klar: Die Kirche – das sind wir, die EKD mit Sitz und Büro in Hannover. Dem steht ebenso das reformatorische Verständnis von Kirche gegenüber: „Die christliche Kirche i s t die Gemeinde…“ Was nun seit ca. 20 Jahren geschieht, ist die schrittweise Umkehrung der o.g. eindeutigen Priorität: die so genannten „über“- gemeindlichen Ebenen – die Kirchenkreise, Landeskirchen und die Dachorganisation EKD – entziehen den Gemeinden Schritt für Schritt ihre Autonomie, ihre Entscheidungsbefugnisse, ihr Geld und ihren Rechtsstatus.
Es ist ein Streit, der so alt ist wie die protestantische Kirche. Und gegenwärtig besteht „die Tendenz, dass die Kirchenkreise (die so genannte ‚mittlere Ebene‘), die Landeskirchen, die EKD immer mehr Kompetenzen an sich ziehen und insbesondere das Recht der Personalsteuerung auch für die Gemeinden beanspruchen (…) Wir sind der Ansicht, dass dies auf eine Entmündigung der Gemeinden hinausläuft.“
Lesen Sie hier den ganzen Vortrag: http://kirchenbunt.de/?wpdmdl=1475