Beim Blick in die katholische Kirche, trifft man auf altbekannte Probleme. Kein Wunder. Offenbar ist die katholische Kirche genauso schlecht beraten worden.
Zu wenig Gläubige – oder zu wenig Glauben an sich selbst? Warum der Trend zur Kirchenumnutzung in die Irre führt
Von Dankwart Guratzsch (Welt am Sonntag vom 21.07.2013)
„Im Rausch einer neuen Weltoffenheit, eines gesellschaftlichen Aktionismus, einer plakativen Hinwendung zu karitativen Werken, Jugend- und Altenarbeit, Frauenkreisen und Kinderbetreuung ist der Aufmerksamkeit entglitten, dass alle diese Kompensationen des Kernauftrags den Niedergang der Kirchen, den Rückgang der Gottesdienstbesuche nicht nur nicht aufgefangen, sondern vielleicht sogar befördert haben. Mit der Absage an die Identität der Kirchengebäude ist auch die Bindung an Kirche zurückgegangen, mit der Profanierung von kirchlichem Handeln die Befähigung, Spiritualität darzustellen, sie zu leben und ihr Raum zu geben. Schon im 19. Jahrhundert hatten Pastoren beklagt, dass der Kirchenbesuch zu wünschen übrig lasse, allein, es wurden die entgegengesetzten Schlüsse daraus gezogen. Nach einer Bestandsaufnahme von 1853 wurden in einer Gemeinde mit 40.000 Seelen nurmehr 20 Kirchgänger gezählt. Eine „Kommission zur Abhülfe kirchlicher Nothstände“ schätzte, in ganz Berlin seien es gerade mal noch fünf Prozent.
Diesem Verlust an öffentlicher Geltung der Kirchen trat die Kirche nicht mit Rückzug, sondern mit einem beispiellosen Bauprogramm entgegen – exakt dem Gegenteil dessen, was Kirchen heute praktizieren. Mit ebenso großen wie großartigen Kirchenneubauten im Stile einer neuen Gotik positionierte und verankerte sich die Kirche im öffentlichen Bewusstsein der Industriegesellschaft als wichtig, zukunftsfähig und expansiv. Ein halbes Jahrhundert später vermeldeten Chronisten, dass die nun noch viel zahlreicheren Kirchen „gut besucht“ seien – freilich nur jene, „in denen Gottes Wort nach den Bekenntnissen der Väter verkündet wird“, während „freisinnige Pastoren“ vor leeren Bänken stünden.
Sind Kirchen heute noch Orte, an denen „Gottes Wort nach den Bekenntnissen der Väter“ verkündet wird? Wohl eher immer seltener. Die Umnutzungseuphorie, die von den Kirchenleitungen selbst und nicht von den Laien forciert wird, der Rationalisierungsfuror zur Straffung und Zusammenlegung von Gemeinden, der zu „XXL-Gemeinden“ führt, die dem älter werdenden Kirchenvolk immer längere Wege aufbürden und regionale Bindungen auflösen, der exorbitante finanzielle Aufwand, mit dem „Pilotprojekte“ für die „erweiterte Nutzung“ von Kirchen (oftmals gegen erhebliche Widerstände aus den Gemeinden) durchgedrückt werden, die Deklassierung, die man aufgegebenen Gemeinden und den Mitgliedern „weiterer Kirchen“ zuteil werden lässt, indem man sie unter ferner liefen verbucht – all dies zeugt von ganz anderen Ambitionen: Es soll ein neues Bild von Kirche erschaffen werden, das „zeitgemäß“ ist und der Kirche ihre hohe weltliche Bedeutung zurückgibt. Die Erfahrungen, die man mit dieser Strategie macht, ähneln verblüffend jenen, die den „freisinnigen Pastoren“ schon zu Kaiser Wilhelms Zeiten zuteil wurden.“
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