Über die Reformutation einer noch presbyterial-synodal strukturierten Landeskirche.
Von Andreas Reinhold
Es war eine Sternstunde des zivilen Ungehorsams, politischen Mutes und der persönlichen Glaubensfreiheit: 1529 verweigerten die evangelischen Stände auf dem Reichstag zu Speyer ihre Zustimmung für ein Edikt, das den Ländern und Reichsstädten der Reformation schon zugesagte Rechte und Sicherheiten, die ihnen drei Jahre zuvor eingeräumt worden waren, wieder genommen hätte. Gegen eine katholische Mehrheit und im Angesicht des kaiserlichen Stellvertreters König Ferdinand I. protestierten sie für die ungehinderte Verbreitung des evangelischen Glaubens, gegen die Verhängung der Reichsacht gegen Martin Luther und gegen ihre religiöse Entmündigung. Infolge ihres Aufbegehrens und Widerstandes setzte sich in Deutschland das Prinzip der Religionsfreiheit durch, und aus der reformatorischen Bewegung entwickelte sich eine protestantische Glaubenskultur, die gegenüber einer klerikal geprägten Kirche die geistliche Mündigkeit der Getauften, das Priestertum aller Gläubigen, betonte. Diese Überzeugung ist u.a. der Grund dafür, dass sich evangelische Kirchen von der Ortsgemeinde her entwickelt haben und übergeordnete Institutionen lediglich subsidiäre, also dienende Funktion besitzen.
In der Evangelischen Kirche im Rheinland manifestiert sich dieses Prinzip in ihrer presbyterial-synodalen Grundordnung: Die Presbyterien sind als Leitungsorgan ihrer Kirchengemeinden für alle Belange der Gemeindeentwicklung vor Ort verantwortlich: ihnen obliegt das ius liturgicum, die Verwaltung der Kirchensteuereinnahmen und die Pflicht, die Gemeinde personell adäquat auszustatten. Obwohl die Kirchenordnung immer wieder modifiziert und Kompetenzen neu sortiert wurden, blieb diese Grundstruktur lange Zeit bestehen, auch, weil sie nach der geltenden Kirchenordnung nicht angetastet werden darf! So heißt es in Art. 126.3KO: „Die Landeskirche ordnet unter Wahrung der presbyterial-synodalen Ordnung Auftrag und Dienst der Kirchengemeinden und Kirchenkreise.“ (Hervorhebung vom Autor).
Nun ist seit geraumer Zeit eine Entwicklung nicht nur innerhalb der EKiR erkennbar, die Entscheidungs- und Richtlinienkompetenzen in übergeordnete Ebenen (Kirchenkreis, Landeskirche) transferiert und eine stärkere Hierarchisierung mit teilweise verheerenden Auswirkungen auf die Ortsgemeinden bewirkt. Begründet wurde und wird dies hauptsächlich mit der Schaffung einer strafferen, effizienteren und damit wirtschaftlicheren Organisationsstruktur, innerhalb der finanzielle Mittel eingespart und vermeintlich effektiver eingesetzt werden können. Prognostizierte Einbußen bei den Kirchensteuereinnahmen, befürchtete Kirchenaustrittszahlen und die Sorge um eine ausreichend gefüllte Pensionskasse bildeten dabei die argumentative Basis, mit der Presbyterien und Kirchenkreise zu entsprechenden Maßnahmen bewogen und Synoden zu entsprechenden Beschlüssen geführt wurden. Dieser Prozess war und ist unübersichtlich vielschichtig und findet bis heute in mehreren Bereichen nahezu gleichzeitig statt. Stichwortartig seien an dieser Stelle genannt:
- die Verwaltungsstrukturreform, mit der Kirchengemeinden dazu angehalten wurden, ihre eigenständigen Ämter vor Ort zugunsten einer zentralisierten Verwaltungsstelle auf Kirchenkreisebene aufzugeben;
- die Personalplanung, die immer deutlicher auf Kirchenkreisebene gehoben wird;
- die Einführung des Neuen Kirchlichen Finanzwesens (NKF), mit dem auf allen Ebenen von der kameralistischen auf die doppische Buchhaltung umgestellt wurde, um einen verbesserten Kontroll- und Steuerungsmechanismus in der Hand zu haben.
Darüber hinaus sei – quasi als „Nebenschauplätze“ – auf folgende Veränderungen hingewiesen:
- Seit 2008 wird der Zugang zum Pfarrdienst durch ein zentralisiertes Bewerbungsverfahren auf Landeskirchenebene geregelt.
- Die Kirchengemeinden wurden mittels einer Gebäudestrukturanalyse angehalten, ihre Immobilien analysieren und im Hinblick auf Auslastung, Unterhaltungskosten und Investitionslücken bewerten zu lassen.
Eine theologische Begründung all dieser Maßnahmen, die in weiten Teilen die Entscheidungshoheit der Presbyterien und damit einen Grundpfeiler evangelischen Kircheseins im Rheinland aufheben, zumindest aber einschränken, gab und gibt es bis heute nicht!
(…) Als Kirche Jesu Christi dürfen wir uns nicht artfremden Bedingungen unterwerfen und sollten deshalb skeptisch bleiben gegenüber Bestrebungen, auch die Institution Kirche und ihre Gemeinden nach marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten zu formen. Wir haben vor allem theologisch zu verantworten, was wir reden und tun – gerade auch was das kirchliche Haushalten anbelangt, das weit mehr ist, als die ordentliche Verwaltung des Geldes: nämlich Kirche im Sinne Jesu Christi zu bleiben. Und die verwirklicht sich immer in der Gemeinschaft vor Ort, wo sie den Menschen in allen Belangen nahe kommt. Darum baut sich Kirche von unten auf. Und darum gehört die Leitung der Ortsgemeinden (wieder) in die Presbyterien.
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Andreas Reinhold betreibt die Predigtseite www.kanzelgruss.de und den Blog http://beffchen.de/