Transparenter Umgang mit Statistischem und Wünschenswertem
Von Matthias Ewelt
Von übergemeindlichen Stellen und Einrichtungen werden Erfolgsgeschichten erzählt, um ihre Notwendigkeit zu begründen. Für die Stellenplanung der Gemeindepfarrstellen spielen solche Erfolgsgeschichten keine Rolle. Und das ist auch gut so! Es sei denn, man will eine Kirche, die das Grundparadigma der Gemeindebindung aufgibt.
Von zwei Erfolgsmodellen in unserer Kirche wurde in den letzten Monaten aus dem Landeskirchenrat und dann auch in der Presse berichtet. Zum einen das „Erfolgsmodell Jugendkirche“, das dezidiert so genannt wurde und zum anderen wurde der 1000. Eintritt bei einer der zwei Kircheneintrittsstellen in Bayern als Erfolg in die Öffentlichkeit gebracht. Wenn Unternehmungen unserer Kirche erfolgreich sind, ist das erst einmal ein Grund zur Freude. In den beiden benannten Fällen jedoch meine ich mehr wahrzunehmen, im Grunde eine richtiggehende Zeitenwende in unserer kirchlichen Betrachtungsweise von Stellen und Budgets. Wieso mir das so geht, mag ein Beispiel illustrieren.
Harte und weiche Rahmenbedingungen in der Gemeindearbeit
Sitzung eines Pfarrkapitels mit Vertreterinnen und Vertretern des Dekanatsausschusses im Rahmen der Dekanatsentwicklung. Ziel der Sitzung: einen sog. „Grundanforderungsindex“ für die Arbeit der Hauptamtlichen zu entwickeln. Am Ende der Sitzung gibt es allerhand sogenannte „harte Faktoren“ in diesem Index (Gemeindemitglieder, Gebäude, Einrichtungen, etc.) und alle „weichen“ wurden abgelehnt. Die KollegInnen, die hervorragend besuchte Gottesdienste, ihr Spartenprogramm, das hohe Spendenaufkommen durch intensive Besuche, sowie traditionelle Angebote in der Fläche (z.B. Bibelstunden, Hausandachten) in dem Index unterbringen wollten, weil diese Dinge ja viel Arbeit machten und daher zu den Grundanforderungen zählten, sind abgeblitzt. Ich meine jedoch, mit gutem Grund.
Der eine Kollege mit seinem geringeren Grundprogramm hat die Kapazitäten für solche Dinge. Die Gemeinde mit den umfangreicheren harten Faktoren hat aber gar keine Chance, bei diesen gemeindlich wünschenswerten Dingen Zeit zu investieren. Ziel der Beratung war es ja, durch eine Vergleichbarkeit der Grundlast überhaupt erst einmal zu einer Situation zu kommen, wo alle KollegInnen und Gemeinden über ihre notwendigen Grundaufgaben hinaus genügend Spielräume für diese inhaltlichen Schwerpunkte haben. Wenn also am Ende bei 80% Grundanforderungen gute Basisarbeit läuft und in den übrigen 20% sowohl besondere Erfolge als auch Krankheit, Alter und Schwierigkeiten (!) eingepreist werden können, wie sich das theologisch gut begründen lässt , dann ist so eine Abfolge von den harten zu den weichen Faktoren im Blick auf die Vergleichbarkeit von Pfarrstellen und das salutogene Arbeiten auf ihnen wirklich sinnvoll.
Kircheneintrittsstellen – ein Erfolgsmodell?
Der Erfolg der Jugendkirche wird mit im Schnitt 150 Gottesdienstbesuchern, hohem ehrenamtlichen Engagement und einer großen regionalen Reichweite begründet. Der Erfolg der Kircheneintrittsstellen mit den vielen generierten Eintritten, vor allem von Menschen, die beim klassischen Gemeindeeintritt nicht „anbeißen“. Bevor ich hier etwas über die Verhältnisbestimmung von harten und weichen Rahmenbedingungen schreibe: schon die harten Zahlen sind, mit Verlaub, erst einmal andere.
Die Kircheneintrittszahlen 2011 sind bis auf einen Eintritt exakt auf dem Niveau von 2001 (3139/3140). Auch 2009 und 2005 waren fast identisch. Ein echter Statistiker mag zugegeben im Durchschnitt mathematisch einen leichten Aufwärtstrend erkennen. Der Durchschnitt 2000-2005 liegt bei 3236, der von 2006 bis 2011 bei 3852 Eintritten pro Jahr. Ein Erfolg der Eintrittsstellen? Jedes Jahr im Schnitt 616 mehr Eintritte! Zum Teil. Denn es gingen die Eintrittszahlen offenbar insgesamt hoch, also auch in den Kirchengemeinden, denn 1809 Person traten (laut den genannten Meldungen) seit 2006 über Eintrittsstellen ein, 1887 über die Kirchengemeinden, weil die Mehreintritte sich in den 6 Jahren insgesamt auf 3696 belaufen. Dies gilt aber nur, wenn man für 2006-11 die Liste der Eintritte der Kirchensteuerämter hernimmt, die im Rahmen der Berichte über die Eintrittszahlen zuletzt Verwendung fand. Nimmt man für alle Jahre dieselbe Statistik (nämlich „Kirchliches Leben in Zahlen“), wie sie auch für meine Rechnung der Vorjahre herhalten musste, dann sind durchschnittlich pro Jahr im Zeitraum nur 3602 eingetreten (ohne Erwachsenentaufen). Also durchschnittlich lediglich 250 pro Jahr mehr bei einer insgesamt steigenden Tendenz. Das für unsere katholischen Geschwister schwierige Jahr 2010, als es bei uns zu 5439 (Kirchensteuerämter) bzw. 4244 (Kirchliches Leben in Zahlen) Eintritten kam, weil wohl einige übergetreten sind, ist ein einmaliger Ausreißer. Um dieses Sonderjahr bereinigt, gibt es statistisch eher keinen signifikanten Anstieg seit Einrichtung der Kircheneintrittsstellen, zumindest nicht wegen dieser Stellen.
Grundparadigma der Gemeindebindung
Auch wenn ich die Statistik, die man sprichwörtlich ja jeweils in seinem Sinne fälschen muss, sehr positiv lese, eine Erfolgsgeschichte, die da heißen könnte: zwei volle Stellen (Investition) mal 6 Jahre (Zeit) = Eintrittsmehrung (Ergebnis), sieht wohl ein bisschen anders aus. Der berechtigte Einwand könnte lauten: der Erfolg liegt nicht bei den absoluten Zahlen, sondern bei den bisher nicht erreichten Eintrittswilligen, die mit Gemeinde nichts anfangen können. Das ist jedoch eher eine Frage, ob und wie wir die Rahmenbedingungen für Eintritte verändern wollen. Ein weites Feld: Gibt es Evangelische, die grundsätzlich zu keiner Gemeinde gehören? Kann man eintreten, ohne nicht wenigstens einen einzigen Gottesdienst besucht zu haben? Kann so ein Eintrittsbüro nicht einfach an einer zentralen Kirchengemeinde oder Einrichtung angedockt sein? Generiert eine Sonderstelle nicht besondere neue Aufgaben und braucht es diese in Anbetracht der Fülle von Aufgaben, die ohnehin da sind?.
Vom Erfolg der Jugendkirche und vom Erfolg in den Gemeinden
Das Grundparadigma der Gemeindebindung in unserer parochial strukturierten Volkskirche ist auch bei den Jugendkirchen berührt. Den Besucherzahlen in den Jugendkirchen müssten die örtlichen Jugendgottesdiensten in Gemeinden und Dekanaten, oder einer bestimmten Region gegenübergestellt werden, und auch die Investition in Gebäude und Equipment im Vergleich zu den genannten Erfolgen. Jede Gemeinde und jedes Dekanat, das für seine Jugendarbeit ähnlich gutes Material und diese Möglichkeiten hätte, würde vermutlich auf ähnliche Teilnehmerzahlen bei Jugendgottesdiensten kommen und dabei einen klaren Gemeinde- oder mindestens regionalen Bezug zur Kirche vor Ort behalten, wenn wir das noch wollen. Wenn nicht, dann müssen wir wohl zuerst über die parochiale Struktur reden und erst dann die Auflösung dieser Struktur gestalten, wie es beispielsweise in München immer notwendiger zu werden scheint. Wenn es nur um die Erfolge geht, wäre das zu kurz gegriffen, weil es die Grundstruktur in Frage stellt. Die Frage, was in der bisherigen Gemeindestruktur alles möglich wäre an Erfolgen, wenn die intensiven finanziellen und Stellenbemühungen dort angesiedelt blieben, wurde ja nicht alternativ ausprobiert. Allerdings kommen manche Angebote in den Gemeinden auch ohne dieses qualitativ hochwertige Material vielfach auf Zahlenerfolge, die nicht weiter ausgewertet, ausgebaut oder gefördert worden sind.
„Erfolgsgeschichten“ als Grundlage für Stellenpläne?
Was ich sagen will ist nicht, dass es für Kircheneintrittsstellen und Jugendkirche keine guten Argumente gäbe. Selbst die von mir skizzierten Veränderungen können wir gern im breiten Diskurs entscheiden und vornehmen. Es geht hier nicht um polemisch vorgebrachten Neid. Es geht darum, dass der Erfolg in Zahlen bisher keine Rolle gespielt hat und auch nicht spielen durfte. Er war ein weicher Faktor und Landesstellenpläne sind leidlich gelungen, weil diese Faktoren aus Stellen- und in der Folge auch bei Budgetentscheidungen draußen geblieben sind. Wenn aber der Erfolg in Zahlen nun weitere Stellen und Investitionen begründet, dann ist doch etwas mehr Vorsicht bei der Argumentation geboten, meine ich. Denn wenn Erfolg das Thema ist, dann können gerade einzelne Gemeinden aus einer Fülle dieser Faktoren heraus, die sie schon immer im Köcher hatten und bisher nicht verwenden konnten – wie gesagt: aus gutem Grund – neue Stellen und Gelder anfordern. Beispiele?
Erfolgreiches Fundraising kann man am Spendenaufkommen pro Kopf/Gemeindemitglied gut ablesen. Würden wir Stellen nach diesem Erfolgsprinzip (je höher die Pro-Kopf-Spenden, desto mehr Stellen) verteilen, dann wäre jede Solidargemeinschaft genauso aufgekündigt, wie wenn die kirchensteuerreichen Gemeinden alles für sich behalten würden, nur weil sie erfolgreich reiche Evangelische beheimaten. Erfolgreiche Gemeindebindung könnte man an prozentualem Gottesdienstbesuch ablesen und finanzieren/besetzen. Die Vorstellung erscheint charmant und furchtbar zugleich. Erfolgreiche Vernetzung von Kirche und Gesellschaft ließe sich an Angeboten zu gut proppenvollen Feuerwehrjubiläen und ähnlichen hervorragend besuchten Veranstaltungen messen. Teilnehmerzahlen und ehrenamtliches Engagement werden in vielen alternativen Gottesdienstformen auf Gemeindeebene derzeit recht erfolgreich generiert. Sonderzuweisungen oder Pläne, diese Modelle, die an bestimmte Gemeinden oder Regionen gebunden sind, anderswo zu implementieren sind mir nicht bekannt. Manch amerikanisch denkender Kirchenvorstand ist mir schon so gekommen: die Kirche muss in Wachstum denken und nicht den Niedergang der Gemeindegliederzahlen betrauern. Ich werde nicht müde zu begründen, dass für mehr evangelische Zuzüge in einer Gemeinde der Bürgermeister zuständig ist und für mehr evangelische Geburten die Eltern und die Politik. Das begründete bisher grundsätzlich unsere Stellenverteilung und nicht die Zahlen an Veranstaltungen, Ehrenamtlichen, Teilnehmenden und generierten Spenden.
Zweierlei Maß
Und wenn man auf die überkommenen, stetigen, vergessenen Erfolge blickt? Ein Kollege in einer klassischen Dorfgemeinde erzählte mir, dass seine Gemeinde statistisch und auch gefühlt durch all die verschiedenen Angebote im Jahr so gut wie jedes Gemeindemitglied von 0-100 Jahren erreicht. Über 95% Reichweite! Was für ein Erfolg! Die Stelle wurde um ein Viertel gekürzt, die Zuweisungen sind gesunken. Strukturell trotz dieser Erfolgsgeschichte leicht darstellbar, oder nicht?
Feiern wir gerne Erfolge, aber …
Ich betone noch einmal, dass ich dieses Denken aus genannten Gründen nicht befürworte. Lassen Sie uns bitte lieber miteinander darauf achten, dass dieser von mir beschriebene Weg der Erfolgsgeschichten bei der Errichtung von Stellen und Investitionen so nicht weiter verfolgt wird. Denn er bringt uns meiner Meinung nach entweder in schreckliche Erklärungsnöte oder führt in Verteilungskämpfe um Geld und Stellen, die wir nicht mehr kontrollieren können. Feiern wir gerne Erfolge, aber dann bitte schön
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nicht nur die allerneuesten, sondern auch die stetigen und althergebrachten;
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als weiche Faktoren, nachdem die harten Faktoren über Stellenausstattung, Dienstbeschreibungen und Budget befunden haben und
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mindestens mit einer statistisch, besser noch wirtschaftlich belastbaren Abwägung von Aufwand, Nutzen und vor allen Dingen: Vergleichbarkeit.
Matthias Ewelt ist Pfarrer und Dekan in Neustadt/Aisch und Mitglied im Vorstand des Gemeindebunds Bayern.
Quellen: Kirchliches Leben in Zahlen (1970-2011 – Intranet), Mitgliederentwicklung 2006-2012 (die den KiStÄ gemeldeten Eintritte), Pressemitteilungen aus dem Landeskirchenrat 10+12/2012