Auch in anderen Landeskirchen gibt es Zusammenschlüsse, die sich für die Kirchengemeinden am Ort stark machen, z.B. den Kirchengemeindetag in Württemberg: http://www.kirchengemeindetag.de.
Anlässlich des 10 jährigen Jubiläums gab Dekan i.R. Walter Blaich 2003 einen Rückblick auf die Arbeit:
Verehrte, liebe Damen und Herren,
gern bin ich der Einladung gefolgt, mich für Sie zu erinnern. Ich freue mich, dass ich Ihnen ein wenig davon erzählen darf, wie das vor 10 Jahren war.
Eigentlich müsste hier Hans-Martin Freudenreich stehen. Denn er hatte die Idee „Evangelischer Kirchengemeindetag“. Er lässt Sie heute herzlich grüßen. Es geht ihm nach überstandenem Herzinfarkt wieder ordentlich, doch nicht so, dass er sich öffentliche Auftritte zumuten könnte. Dem Kirchengemeindetag wünscht er auch für die Zukunft ein erfolgreiches Arbeiten.
Die Anfänge gehen zurück auf das Jahr 1991. Auf Anregung von Dekan Hans Martin Freudenreich, Mühlacker, haben beim Dekanskonvent in jenem Jahr in Bad Boll einige Dekane beschlossen, Überlegungen für eine eigene Vertretung der Kirchengemeinden anzustellen. Diese Gruppe traf sich, auch ein Kirchenpfleger war dabei, erstmals im August 1991. Es kam am 29. und 30.Januar 1993 in der Evang. Akademie Bad Boll zu einer Tagung zum Thema „Wer vertritt die Interessen der Gesamtheit der Kirchengemeinden?“. Wesentliches Ergebnis dieser Tagung war die Einsetzung einer Arbeitsgruppe, die die Aufgabenstellung für eine als notwendig erkannte Organisation der Kirchengemeinden erarbeiten und die Gründung einer mit dem Arbeitstitel „Kirchengemeindetag“ benannten Organisation vorbereiten sollte. Die Gruppe arbeitete im Lauf des Jahres 1993 so zügig, dass auf Samstag, 9.Oktober 1993 Hans Martin Freudenreich im Auftrag der Vorbereitungsgruppe zur Gründung eines Vereins „Kirchengemeindetag der evang. Landeskirche in Württemberg“ einladen konnte.
An diesem 9.Oktober wurde hier im Raum der „Evang. Kirchengemeindetag in Württemberg“ als nicht eingetragener Verein gegründet. Die vom vorbereitenden Ausschuss entworfene Satzung wurde beschlossen. In ihr sind die Ziele des Vereins so formuliert: „Der evangelische Kirchengemeindetag in Württemberg will den Kirchengemeinden und Kirchenbezirken in der evang. Landeskirche in Württemberg die Möglichkeit geben, Fragen, die sie gemeinsam betreffen, auszutauschen und abzuklären, gemeinsame Anliegen und Interessen gemeinsam zu vertreten und an der Regelung von Angelegenheiten, die sie gemeinsam berühren, durch Vorschläge und Stellungnahmen mitzuwirken.“
Von Anfang an haben wir uns bemüht, die Gemeinden und Bezirke aus der ganzen Landeskirche einzubeziehen, etwa durch die Arbeit des Erweiterten Vorstands, in dem alle Prälaturen und die Kirchenpflegervereinigung vertreten sind, und unsere Arbeit auf eine breite Basis zu stellen durch Umfragen bei den Mitgliedern, durch regionale Studientage, durch besondere Arbeitsgruppen und eine enge Zusammenarbeit mit der Kirchenpflegervereinigung.
Bei der Gründungsversammlung waren 120 Gemeinden und Kirchenbezirke vertreten. Fünf Jahre später hatten wir 600 Mitglieder, darunter 39 Kirchenbezirke. Zunächst fanden wir eher Zuspruch bei den gewählten Mitgliedern der Kirchengemeinderäte als bei den Pfarrerinnen und Pfarrern, mehr in städtischen und größeren Gemeinden als in den kleineren und Landgemeinden. Die Gründung war eigentlich überfällig in einer Zeit, in der die Basis zunehmend gefragt war. Wir dachten: Es ist besser die vorhandenen Gemeinden zu stärken als Gemeindeneugründungen zu initiieren.
Dazu kam, dass bei abnehmenden finanziellen Ressourcen Interessenskonflikte auch in einer Kirche zunehmen mussten. Und alle waren dafür mehr oder weniger gut aufgestellt über ihre Berufs- und Interessenverbände, nur die Kirchengemeinden und Kirchenbezirke nicht. Wie sehr dennoch unsere zentralistisch-hierarchische Tradition – mindestens damals vor 10 Jahren – unser Denken noch prägte, zeigte sich auch in den kritischen Fragen, die uns gestellt wurden. Eine Beobachtung am Rande: Erst in den letzten 10 bis 15Jahren findet man zunehmend auf den kirchlichen Briefköpfen nicht mehr nur „Pfarramt Oberhausen“ sondern auch oder statt dessen Evang. Kirchengemeinde …
Von den Bedenken, die uns begegneten nenne ich die zwei häufigsten:
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Wofür brauchen wir denn dazu noch eine neue Organisation. Wir haben doch Oberkirchenrat und Landessynode (meist in dieser Reihenfolge genannt). Vielen Kritikern war nicht klar, dass die Kirchengemeinden in unserer Kirchenverfassung anders als in manchen anderen Landeskirchen nur ganz am Rande erwähnt sind. Und die Landessynode hat laut Kirchenverfassung die Aufgabe, die Gesamtheit der Kirchengenossen bzw. die gesamte Landeskirche und nicht die einzelnen Kirchengemeinden und Kirchenbezirke zu vertreten, was deutlich schon durch die Direktwahl der Synodalen zum Ausdruck kommt. Dass zwischen Kirchengemeinden und Oberkirchenrat sehr wohl ernsthafte Konflikte entstehen können, sehen wir aktuell wieder an der Frage des Verteilschlüssels der Kirchensteuer.
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Die zweite Frage, die uns bei der Gründung sogar vom Direktor des Oberkirchenrats gestellt wurde, war die, ob ein privatrechtlich organisierter Verein der Aufgabe denn angemessen sei. Wir haben das sehr überlegt und kamen zu der Meinung, es dauere viel zu lange, wenn wir eine Verankerung in der Kirchenverfassung anstreben. So setzten wir auf freiwillige Mitgliedschaft und vertrauten bei Auseinandersetzungen allein auf unsere Argumente.
Im übrigen fanden wir beim Oberkirchenrat eigentlich von Anfang an Unterstützung. Wohl ging ganz am Anfang das Gerücht um, ein Kollegialmitglied habe gesagt, er nehme diesen Verein erst dann ernst, wenn wenigstens die Hälfte aller Kirchengemeinden Mitglied seien. Doch so lange hat es nicht gedauert. Unsere Anliegen wurden gehört, wenn auch nicht immer erhört. Wir bekamen die Gesetzesvorlagen zur Stellungnahme zugesandt, wenn auch manchmal recht kurzfristig. Und auch die Zusammenarbeit mit der Landessynode war erfreulich. O-Ton aus der Synode: „Jetzt haben doch auch die Kirchengemeinden ein Forum“.
Wir hatten damals den Eindruck, dass in der Arbeitsrechtlichen Kommission manche Kompromisse die Interessen der Kirchengemeinden nicht genügend berücksichtigten. So baten wir den Oberkirchenrat, der die beiden Kirchengemeindevertreter benannte (den einen auf Vorschlag der Kirchenpflegervereinigung), den anderen Vertreter künftig auf unseren Vorschlag hin zu benennen. Darauf ging der Oberkirchenrat sofort ein, und Dekan Hartmut Leins war bereit, diese wichtige und aufwändige Aufgabe zu übernehmen.
Die Themen, mit denen wir uns in den ersten Jahren befasst haben: Die Gründung des Kirchengemeindetags fand statt, als der Entwurf des Diakonengesetzes bereits in die Landessynode eingebracht war. Das hat uns damals gewaltig gefordert, denn wir mussten ja unseren eigenen Arbeitsstil erst finden. Andererseits war dieses Diakonengesetz ein gutes Beispiel für die Notwendigkeit unseres Engagements. Denn zum Diakonengesetz hatten sich alle möglichen Leute und Einrichtungen geäußert, Interessenvertretungen hatten Druck gemacht, nur die Kirchengemeinden hatte niemand um ihre Meinung gefragt. So haben wir zum Entwurf dieses Gesetzes schnell eine Umfrage bei unseren Mitgliedern gestartet und eine daraus resultierende Stellungnahme an den Rechtsausschuss der Synode gegeben. Wir sprachen uns dafür aus, dass die Anstellungsebene mit der Ebene, auf der die Diakone hauptsächlich Dienst tun, identisch sein sollte. Es kam damals dann zu dem Kompromiss der grundsätzlichen Anstellung auf Bezirksebene. Das entsprach nicht den Wünschen der Mehrheit unserer Mitglieder, aber immerhin wurde damals in vielen Gemeinden auf Grund unseres Fragebogens der Dienst der Diakone und Diakoninnen grundsätzlich und gründlich diskutiert. Ähnlich war es bei einer Umfrage zur Bedeutung der Kindergartenarbeit, die wir machten. Es wurde uns zurückgemeldet, welchen hohen Stellenwert die Kindergartenarbeit in den meisten unserer Gemeinden hat.
Weitere Themen aus der Anfangszeit: Die Revision der Kirchengemeinde- und Kirchenbezirksordnung, das kirchliche Arbeitsrecht. Zur Neufassung der kirchlichen Haushaltsordnung gaben wir in Zusammenarbeit mit der Kirchenpflegervereinigung eine Stellungnahme ab. Zur Modifizierung der Kirchensteuerzuweisungen an die Kirchengemeinden hatten wir eigene Vorschläge, die von der Landessynode leider nicht aufgenommen wurden und praktisch von Anfang an hat uns die Frage der Verteilung der Kirchensteuermittel zwischen Landeskirche und Kirchengemeinden beschäftigt, wobei wir stets davon ausgingen, dass über die Verteilung der Aufgaben zwischen Landeskirche und Kirchengemeinden bzw. Kirchenbezirken neu nachgedacht werden und entsprechend auch das Aufkommen aus der einheitlichen Kirchensteuer verteilt werden sollte.
Eine Entscheidung ist mir schwer gefallen: Wir hatten nach gründlicher Vorbereitung in unseren Gremien der Mitgliederversammlung 1997 einen Beschluss zur Strukturreform der Mittleren Ebene vorgelegt, dessen Hauptziel die Stärkung der Selbstverwaltung der Kirchengemeinden einerseits und die Zusammenfassung wichtiger Dienste in zum Teil neu abzugrenzenden Kirchenbezirken andererseits war. Die Diskussion damals zeigte, dass wir bei einer Abstimmung mit einer knappen Mehrheit für unsere Beschlussvorlage rechnen konnten, dass aber viele, vor allem kleinere und ländliche Gemeinden nicht zustimmen würden. So zogen wir unseren Beschlussantrag zurück, weil es dem Vorstand wichtig war, dass Äußerungen des Kirchengemeindetags von einer großen Mehrheit quer durch die verschiedenen Gemeinden getragen wurden. Doch nun waren etliche Gemeinden aus großen Städten verärgert. Sie fühlten sich nicht nur von der Landessynode sondern nun auch vom Kirchengemeindetag im Stich gelassen. Es kam zu einer schweren Krise, die wir dann mit der Gründung der AG Großstadtforum bewältigen konnten.
Noch eine typische Erfahrung will ich nennen: Der Pfarrer einer Gemeinde, um deren Beitritt zum Kirchengemeindetag ich mich persönlich bemüht hatte, schrieb mir schließlich, der Kirchengemeinderat habe beschlossen, nicht beizutreten. Gleichzeitig nannte er aber eine ganze Reihe von Forderungen, die man bzw. die Dekane beim Oberkirchenrat durchsetzen müssten. Es war praktisch alles das dabei, was auf der Arbeitsliste unseres Vorstands. Ich konnte nur antworten, ohne ein gewisses Maß an Engagement auch von Seiten der Gemeinden gehe es halt nicht.
Dem Kirchengemeindetag wünsche ich für die Zukunft: Kräftige Unterstützung durch die Kirchengemeinden und Kirchenbezirke, damit er seine Interessenvertretung zum Nutzen und Wohl der Gemeinden und der ganzen Kirche weiter wahrnehmen kann. Zwei Dinge speziell: Helfen Sie mit, dass die Verwaltung weiter zu noch besserer Effektivität entwickelt wird. Ich halte das für besonders wichtig in einer Zeit, da wir doch zunehmend auch reduzierte Pfarrstellen mit eigener Geschäftsführung haben. Machen Sie den Gemeinden deutlich, dass die Verwaltung für die Kirchengemeinden keine Gefahr sondern eine große Hilfe ist, wenn Sie in die gewählten Gremien eingebunden ist. Das ist allerdings nach wie vor mein Problem bei den Verwaltungsstellen, deren Arbeit ich sehr schätze.
Und zum andern ist uns, der ersten Generation der Verantwortlichen im Kirchengemeindetag eines nicht gelungen, was uns von Anfang an wichtig war: Bei den Gemeinden das Bewusstsein ihrer Eigenständigkeit mehr zu fördern. Die Kirchengemeinden sollten mehr selber in die Hand nehmen Das ist, ich habe es anfangs schon gesagt, bei der Tradition unserer Kirche schwierig. Nach dem Krieg hat man da einen echten Neuanfang versäumt, obwohl es Vorschläge gab. Ich denke an meinen Lehrer Hermann Diem.
Vielleicht gelingt es Ihnen, der neuen Generation.
Ich danke Ihnen.
Quelle: http://www.kirchengemeindetag.de/taetigkeitsbericht.htm?id=1&pg=1