Eine Zwischenbilanz zum kirchlichen Impulsprozess »Kirche der Freiheit«
Friedhelm Schneider zieht ein Fazit und gibt einen Ausblick: Die eigentlichen Probleme scheinen nicht in der Vergangenheit, sondern in der Zukunft zu liegen.
Der Prozess »Kirche der Freiheit« 2006 setzte ein mit »Krisenalarmismus«. »Auslöser für die als erforderlich angesehenen Reformen … (stellen) eindeutig die finanziellen Engpässe dar«. Die Argumentation ist notorisch: »Auf eine einfache Formel gebracht lautet die Zukunftsperspektive: Die evangelische Kirche wird im Jahr 2030 ein Drittel weniger Mitglieder als 2002 haben und nur noch über die Hälfte ihrer Finanzkraft verfügen.« Dieses Schema taufte man in der EKiR von offizieller Seite sehr erhellend und treffend »einfache Formel«. Ein terminus technicus, den wir gerne aufgreifen und zur allgemeinen Verwendung empfehlen.
Seit 30 Jahren Finanzkrise? So viel ist klar: das Thema stand im Raum und ab 2006 herrschte Alarm. Sicher ist zunächst nur, dass durch litaneiartige Wiederholung bis in die jüngste Zeit die »einfache Formel« die kirchlichen Denkkategorien so geprägt hat, dass sie mittlerweile tief im kollektiven kirchlichen (Unter-)Bewusstsein verankert ist. Aber deckt sich das mit der Realität? Die offizielle EKD-Statistik der Netto-Kirchensteuer weist im Zeitraum ab 1985, in dem mit der »einfachen Formel« gearbeitet wird, eine Steigung der nominalen – also in den Haushaltsplänen stehenden – Werte von ca. 2,9 Mrd. € (1985) auf ca. 4,77 Mrd. € (2012), also +64%, aus. Gemäß den Prognosen von 1985 müsste anteilmäßig ein Minus von 35% eingetreten sein. Die Differenz zwischen der Prognose und der Realität beträgt also innerhalb von knapp 30 Jahren 100%.
Die Einnahmen stiegen, die Ausgaben für Personal wurden ab 2000 deutlich heruntergefahren: Stellen gestrichen, die Löhne über Jahre hin eingefroren, das Weihnachtsgeld gestrichen, die Durchstufungen nach A 14 zeitlich gestreckt, div. Kosten (nicht nur beim Thema Wohnen) auf die PfarrerInnen abgewälzt.
Die Einnahmen stiegen, die Überzeugungskraft des Alarms sank und die Argumentation wurde modifiziert. Seit einigen Jahren gelten nicht mehr die Nominalwerte, sondern die inflationsbereinigten »Real«werte als Problem. EKD-Vizepräsident Winterhoff z.B. argumentiert global: »Seit 1994 Kirchsteueraufkommen 9% Zunahme, Kaufkraftverlust in der gleichen Zeit 30%«. Hier werden nicht Zahlen und ausgewählter Betrachtungszeitraum selbst überprüft. Auch das wäre interessant. Entscheidend ist eine andere Frage: Welche Bedeutung hat der Kaufkraftverlust des statistischen Warenkorbes des Otto-Normalverbrauchers für die EKD? Dieser Warenkorb und nichts anderes steht nämlich hinter der Inflationsberechnung und damit der Realwertstatistik. Was bedeutet es also für die EKD, wenn die Kosten für Karotten, Kaffee, für PKW, die Urlaubsreise o.ä. steigen? Es ist ja nicht zu bestreiten, dass Realwerte bei differenzierter Anwendung einen dann differenzierten Informationsgehalt liefern. Kirche hängt von fremden Leistungen etwa von Energie ab. Allerdings mit einem geringen, nicht relevanten Haushaushaltsanteil von 3-4%. Hingegen werden ca. 75% der Ausgaben im eigenen Haus erbracht, sind also keine Fremdleistungen. Diese Ausgaben z.B. für Personal wurden aber über einen langen Zeitraum hin gar nicht erhöht (s.o.) und führen damit zum Realgewinn für den Arbeitgeber.
(…) Erste Erkenntnis: Das Papier »Kirche der Freiheit« hat keine Reform angestoßen, sondern einen grundlegenden Umbauprozess initiiert.
Reformen sind auf Kontinuität bedacht und wollen den Traditionsabbruch vermeiden. Ursprünglich war dies von einem Teil der Reformbewegung beabsichtigt. Auch heute wird Kontinuität noch verbal beteuert und beschworen, insbesondere von Seiten der Umbauaktivisten. De facto wurde ein realwirtschaftlicher Managementansatz durch einen Aktionärsansatz abgelöst. Im Zentrum steht dann nicht mehr der Mensch, sondern das Kapital. Der Übergang von der Reform zum Umbau wurde exemplarisch am Beispiel des Funktionswandels der Doppik im Prozess verdeutlicht. Die ursprünglichen Ziele von Transparenz, Partizipation, Nachhaltigkeit wichen dem (vorwiegenden) Ziel des Finanzmittelentzugs bei der Basis, also bei der Arbeit am Menschen.
(…) Die theologische Fundamentierung in Gott, im Glauben, wird durch eine Dogmatik ersetzt, die auf nicht belastbaren Finanzprognosen, Interesse geleiteten Rechenalgorithmen und fraktalen Märkten aufbaut.
(…) Was müsste noch passieren? Wie soll es weiter gehen? Angesichts der deprimierenden Resultate der Umbauprozesse in den Kirchen, die Erfahrung mit der Implementation haben, ist ein Moratorium zwingend. Die Kirche muss stehen bleiben, inne halten. Nur eine schonungslose, offene und transparente Bestandsaufnahme des aktuellen Status in den Kirchen mit Implementationshintergrund kann Schlimmeres, kann einen Selbstzerstörungsprozess verhindern. Ist die Kirche dazu (…) in der Lage? Oder hat man sich schon verrannt, gilt nur das »Augen-zu-und-durch«? Das ist selten eine gute Lösung und bringt selten Besserung. Im Gegenteil: dann droht ernsthafte Gefahr. Denn das ist der Weg, der nur noch tiefer in die Wüste führt. Und dem beschworenen Exodus könnte der Exitus folgen.
Lesen Sie hier den ganzen Artikel im Deutschen Pfarrerblatt Nr. 1/2014:
http://www.pfarrerverband.de/pfarrerblatt//index.php?a=show&id=3532
Friedhelm Schneider betreibt den Blog „Wortmeldungen.de“
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