Newsletter August 2021

Profil und Kirchenbild

Was will der Gemeindebund
Seit 2014 gibt es den Gemeindebund in Bayern. Inzwischen zählen über 70 Gemeinden zu seinen Mitgliedern und zurzeit melden viele ihr Interesse an, was wohl auch mit dem Landesstellenplan zu tun hat.
Wir können den vielen Anfragen kaum gerecht werden. Was uns auffällt: einige haben immer noch nicht
verstanden, um was es uns geht. Wir sind weder unzufriedene Motzer, noch so antiquiert, dass wir nur
einem veralteten Kirchenbild nachtrauern. Uns geht es nicht in erster Linie ums Geld und die Finanzen
noch wollen wir den landesweiten Dienst abschaffen. Uns geht es darum, dass in dieser Kirche, in der
wir alle gerne arbeiten, das Evangelium von Jesus Christus unser Handeln bestimmt, auch und gerade
was ihre Entwicklung und ihre Organisation betrifft, damit wir zukunftsfähig bleiben oder werden und so
dem Herrn dieser Kirche dienen. Selbstverständlich könnten dem viele zustimmen- wenigstens darin
sind wir uns wenigstens einig. Nur wie wir dieses Ziel erreichen können, welche Prioritäten gesetzt werden und welche Entscheidungen getroffen werden, darüber lässt sich trefflich streiten, wie es einer protestantischen Kirche gut zu Gesicht steht.
Unser Profil
Die Kirche lebt in ihren Ortsgemeinden. Hier ist der primäre Ort der Kommunikation des Evangeliums
und der gegenseitigen Anteilnahme am gemeinsamen Glauben und Leben. Für die Verkündigung des
Evangeliums und für das Feiern der Sakramente ist die Nähe zu den Menschen durch nichts zu ersetzen. Deshalb liegt das Primat auf den Ortsgemeinden und alle anderen kirchlichen Einrichtungen leben
von ihnen und dienen ihnen. Professor Christian Möller hat das einmal sehr treffend formuliert: „Eine
Kirche, die nicht bei den Menschen am Ort bleibt, mag in ihren Initiativgruppen so fortschrittlich oder so
gläubig wie nur möglich sein, in ihrer landeskirchlichen Gestalt so exakt und technokratisch wie nur
denkbar, in ihrer ökumenischen Gestalt so weltweit und konziliar wie nur vorstellbar, so hat sie dennoch
versagt, wenn sie der anstrengenden Nähe des Nächsten am Ort ausweicht…“
Wir sehen unsere Aufgabe darin, die Gemeinden zu ermutigen, ihre Rechte wahrzunehmen, der Verantwortung des Lebens in ihrer Gemeinde gerecht zu werden und jeglicher Entmündigung entgegenzutreten. Die Stärkung der mittleren Ebene darf nicht dazu führen, dass Kirchengemeinden geschwächt
oder gar ihrer Rechte beraubt werden. Die mittlere Ebene muss Dienstleister für die Gemeinden sein
oder werden. Eine Zentralisierung der Kirche, wie sie in Ansätzen bereits Wirklichkeit ist, widerspricht
unserem Gemeindeverständnis, das sich theologisch wie soziologisch begründen lässt. Der Gemeindebund bietet ein Forum – vergleichbar mit dem Städtetag -, in dem sich die Gemeinden über ihre Angelegenheiten austauschen können und dadurch die Kommunikation der Gemeinden untereinander verbessert wird.

Was Gemeinden brauchen
Zur Stärkung der Ortsgemeinden sind einige wichtige Entscheidungen zu treffen. Eine davon sind die
finanziellen Mittel, über die eine Gemeinde verfügen kann. Man kann durch die Steuerung des Geldflusses eine Kirche grundlegend verändern. Einige Zahlen zur Veranschaulichung
 Das verteilbare Kirchensteuer-Aufkommen ist im Zeitraum von 2010 bis 2021
(Haushaltsansatz!) von 420 auf 666 Millionen Euro gestiegen. Das macht einen Zuwachs von
57,2 % aus.
 Der Punktewert (also was Gemeinden aus Kirchensteuermitteln zur Verfügung gestellt wird) ist
demgegenüber von127,93 € auf 159,77 € gestiegen. Das ist ein Zuwachs von 24,9 %.
 Die Schlüsselzuweisungen sind im gleichen Zeitraum von 72,9 Millionen Euro auf 84,6 Millionen
Euro gestiegen, eine Steigerung von 11,9 %
Die Gesamteinnahmen (also nicht nur die Kirchensteuer) werden im Jahr 2021 mit 969 918 249
€ angegeben. Davon erhalten die Gemeinden 49,55 % im Jahr 2010 waren es noch 54,4%
Anteil am Gesamthaushalt, im Jahr 2017 51,1%.
(Bei allen Zahlen handelt es sich um Haushaltsansätze)
Wieso steigen die finanziellen Mittel für die Gemeinden nicht im gleichen Umfang wie die Einnahmen?
Die neueste Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung liefert Fakten
Warum, so fragen wir wiederholt, werden die Ergebnisse der neuesten Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung kaum berücksichtigt? Nach dieser Untersuchung müssten die parochial verfassten Ortsgemeinden der Ausgangspunkt für eine Kirchenreform sein. Die Verbundenheit mit der evangelischen Kirche ist
mit der Verbundenheit zur Ortsgemeinde gleichzusetzen, so fasst Gerhard Wegner, der Direktor des
sozialwissenschaftlichen Instituts der EKD die Ergebnisse dieser Untersuchung zusammen: „Damit ist
die Kirchengemeinde – ganz nüchtern und rein faktisch konstatiert – nach wie vor die mit Abstand wichtigste Drehscheibe der Kirchenmitgliedschaft“.
Auch Soziologen wie Dr. Maren Lehmann (Universität Erfurt) kommen auf gleiche Ergebnisse: „Was
bleibt, und zwar im Wortsinne: was Bestand hat, allen Formalisierungsbemühungen zum Trotz, ist die
variantenreich wildernde religiöse Kommunikation. Sie bleibt auch dann, wenn man darauf verzichtet,
ihr durch konfessionelle, dogmatisch erfahrene Beobachter Orientierung und Verlässlichkeit zu geben.
Die Gemeinde hat daher auf jeden Fall Zukunft. Die Mitgliedschaftskirche nicht.“1
Soziologisch ist der Befund eindeutig: ohne eine Bindung an eine Gemeinde, ohne die persönliche Begegnung mit den örtlichen Pfarrerinnen und Pfarrern wächst die Austrittswilligkeit. Auch aus diesem
Grund darf die Wertschätzung der Ortsgemeinden nicht nur ein Lippenbekenntnis bleiben. Eine Reformbewegung in unserer Kirche müsste an diesem Punkt ganz neu ansetzen und die alten, erfolglosen
Konzepte der letzten Jahrzehnte aufgeben. Ein erster Schritt in diese Richtung wäre die laufende und
zukünftige Landesstellenplanung neu zu konzipieren. So viel wie möglich Mitarbeitende müssten ihren
Dienst in den Gemeinden leisten. Ein weiterer Schritt wäre es, die finanziellen Mittel der Kirche umzuverteilen. .

1 3 GS IV 134,f4

Zukunft unserer Kirche – Prioritäten
Für die Zukunft der Kirche wird es von allergrößter Wichtigkeit sein, welche Prioritäten gesetzt werden
und damit natürlich auch verbunden, was wir aufgeben müssen. Wir hätten uns gewünscht, dass solche
Entscheidungen vor der Festsetzung des Landesstellenplanes diskutiert und getroffen worden wären.
Unser Ziel, dass die einzelnen Gemeinden die Basis bilden und als die primäre Gestalt der Kirche gelten, korrespondiert mit Fragen wie: Was brauchen die Gemeinden? Worin sind sie zu unterstützen? Wie
können sie einander helfen und voneinander lernen? Das ist alles andere als ein Top-Down-Prozess.
Und es ist ein sehr modernes, fortschrittliches und wissenschaftlich fundiertes Kirchenverständnis. Es
gibt zwei Grundstrategien kirchlichen Handelns, die „Bewahrungsstrategien“ und die „Vorwärtsstrategien“, man könnte sie auch „progressive Kräfte“ nennen. Die kirchlichen Leitungsgremien verfolgen in
der Regel Bestandswahrungsstrategien, sie sind strukturell konservativ und an Harmonie orientiert, sie
haben die Wahrung der Einheit und des Konsenses zum Ziel. Dagegen ist nichts zu sagen, das ist auch
ihre Aufgabe. Allerdings dürfen sie nicht die vorwärtsdrängenden Stimmen anderer überhören. Die Basis, die Gemeinden und ihre Gruppen in der Kirche sind die eigentlich progressiven. Sie reiben sich an
der Großkirche, sind Opposition und vielleicht gerade dadurch sehr loyal ihrer Kirche gegenüber. Sie
können nicht in ausgewogener Neutralität bleiben. Grund dafür ist, dass sie nicht Anwalt des Ganzen
sind, sondern Anwalt der einzelnen, hilfsbedürftigen und aus dem gesellschaftlichen Rahmen herausfallender Menschen. Sie begegnen den Menschen auf Augenhöhe, den Armen und Kranken, all den Bedürftigen, in unmittelbarerer Nähe, von Angesicht zu Angesicht. Sie können nicht von der Harmonie des
Ganzen her denken, in der der einzelne als Opfer zu leicht unsichtbar wird. Aufbrüche und Neuanfänge
in der Kirche gingen immer von der Basis aus, denken wir nur an die Diakonie in Neuendettelsau oder
an das Rauhe Haus in Hamburg, an den Fall der Mauer oder gar an die Reformation.
Es ist an der Zeit, dass wir die alten, in den letzten Jahrzehnten favorisierten und wenig erfolgreichen
Prozesse der Kirchenentwicklung verlassen. Hoffnung macht uns die große Kreativität und das Engagement in vielen Kirchengemeinden, was sich gerade in der Pandemie bewährt hat. Die Mitglieder der
Gemeinden nehmen als Trägerinnen und Träger des Gemeindelebens das Priestertum aller Gläubigen

Kirche muss Gemeinde dienen
„Die Gemeinden sind nicht Ortsvereine der Landeskirche. Und alles, was in den Kirchen oberhalb der
Gemeinde vor Ort angebaut worden ist, dient nur der Gemeinde – ansonsten sind es überflüssige Super-Strukturen.“
(Jürgen Moltmann bei dem öffentlichen Festvortrag zur Barmer Theologischen Erklärung zum Auftakt
des Studientags der vier kirchenleitenden Organe der ELKB.)
„Kirchenreformen und der Neuaufbau der Kirche werden an jener Basis einsetzen, wo Menschen in
überschaubaren Gemeinden das Evangelium hören… Die großkirchlichen, übergemeindlichen Organisationen nehmen den konkreten Gemeinden ihre Selbstständigkeit und oft auch ihre Eigenverantwortlichkeit… Die einzelnen und die kirchlichen Organisationen können sich nur an einem Ort wirklich finden: In der versammelten Gemeinde. Nur in der versammelten Gemeinde wird die Christenheit aktionsund widerstandsfähig.“ (Jürgen Moltmann, Kirche in der Kraft des Geistes, S. 361)

 

Dr. Gerhard Schoenauer, Dekan i.R., 1. Vorsitzender des Gemeindebundes V.i.S.d.P.
Karl-Friedrich Wackerbarth, Pfarrer, 2. Vorsitzender des Gemeindebundes, Landessynodaler

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