Ich hatte einen Traum. Ob es ein Albtraum war, das weiß ich nicht, ob es ein Wahrtraum war, kann ich nicht sagen. Aber dass er mich nicht loslässt und immer wieder kommt, mit jedem Sonntagsblatt und Synode aktuell und manchmal einfach so zwischen Abend und Morgen, das ist wahr.
Ich sah und siehe, meine Kirche und ihre Mitarbeitenden beschäftigt mit immer neuen Papieren, die immer die gleichen Fragen stellen. Und ich sah, wie sie geschäftig mit Eifer neue Antworten suchten auf die alten Fragen und Papiere entwarfen, wie Kreise tagten, die die Texte beschlossen und Moderatoren sie Unkundigen deuteten. Wer nicht mitmachen mochte, wem alles bekannt vorkam, den erklärte man zu einem Fossil, versteinert, Sie verstehen? Am Ende waren die Antworten ebenso alt wie die Fragen, aber das sagte niemand – ob jemand es merkte?
Und ich sah andere, die das Unberechenbare in Zahlen fassen, Zukunft planen und so Zuversicht schöpfen wollten. Und ich verstand die Verzweiflung, die sie trieb und doch ihre Antworten nicht. Wie viele überhaupt noch in der Kirche sein würden in dreißig Jahren, wie viele Mitarbeitende wir uns leisten können, fragten sie und fügten nicht hinzu „nach menschlichem Ermessen“ oder „so Gott will“, der Unberechenbare kam in den Rechnungen nicht vor.
Und wieder andere sah ich, die priesen neue Medien. Per WLAN mit Gott verbunden oder wenigstens mit der Kirchenleitung und jeden Tag eine Predigt des Bischofs frei Haus: Was brauchst Du die kalten Kirchen noch, sagten sie, außer als Raum für den godspot. Per Internet Starprediger frei Haus und das Echo zurück, das andere in den Gemeinden selten hören: „Es liegt so viel Segen in Ihren Worten!“ schrieben einige und fanden keine Schleimspur. Andere erfanden Events, bis sie so am Ende waren, dass sie nicht einmal mehr berichten konnten von all dem Guten, das sie erzeugt hatten.
Ja, da gab es auch Menschen, die Kirche am Evangelium gemessen planten und redeten, als seien sie von Paulus persönlich unterrichtet worden. Gemeinden sahen sie und sahen die nicht, die in keiner Gemeinde sein wollten. Sie träumten von Kirche ohne Kirchenleitung und sahen keinen Wandel der Zeiten. Am Ende rangen sie dann nur noch mit den anderen, die alles das für bloß historisch erklärten, das man nicht übertragen könne, wie sie sagten.
Wieder andere waren beschäftigt, Arbeitszeit in Dienstordnungen zu fassen und weil es nicht ging, konnten sie manchen Besuch nicht mehr machen und mussten Predigten suchten im weltweiten Netz.
Ob das auch Arbeitszeit sei, fragten sie dann und merkten nicht, wie sie Freiheit verspielten und Kreativität. Dass sie vor den unendlichen Ansprüchen von Menschen sich retten wollten, die einen verschlingen können, das spürte ich, aber auch, wie Menschen sich abgewiesen fühlten von ihnen, ausgegrenzt, weil die sich abgrenzten.
Und ich sah, dass es mit meiner Kirche gar nicht so schlecht stehe, wenn Menschen Rat suchen und Hilfe und Orientierung. Ich sah, die ihr wieder beitraten und mithalfen an ihrem Ort. Nur fanden sie, was sie taten, gering geschätzt in den Papieren und in der Versammlung der klugen und kirchenleitenden Menschen. Die hatten wohl keine Zeit, das Einzelne zu sehen, weil sie das Ganze planten und indem sie es planten, zerfiel ihnen alles in Teile und die Teile wieder in Teile, bis Verzweiflung sie ergriff und sie Fachleute suchten, das Ganze wieder herzustellen. Und schrieben neue Papiere und hörten neue Referate, aber was Kirche sei, das wussten sie nicht, das sollte die mittlere Ebene planen.
Dass Kirche ein Teil dieser Gesellschaft sei, die so vielfältig ist, dass kein Teil Wirkung im Ganzen haben kann, das sahen sie nicht. Dass ihre Worte kaum jemand las, selbst nicht die verkürzte Form in der Zeitung, und Geschichten aus dem Plenum keinen interessierten, das sahen sie nicht. Dass keine Partei, keine Gewerkschaft, keine Interessengruppe alle erreichte, wollten sie nicht sehen.
Und ich sah, dass Menschen nach Kirche fragten, die eine Grundlage für das Leben suchten, einen Halt in der Auseinandersetzung um Menschen und Meinungen. Weil aber all die Geschäftigen beschäftigt waren und eingedeckt mit Papieren und Bilanzen, Prognosen und Berechnungen, Ängsten und Streit, wer denn nun Kirche sei, suchten die Menschen andere Orte. In kleinen Gemeinden, die Wärme boten und Antwort und wirkliche Menschen.
Und so träumte ich, dass all das, was das Ende der Kirche verhindern sollte, dieses Ende beschleunigen könnte. Und spürte die Angst der Rechner, die am Ende noch mit einer Mehrung der Mitglieder nicht nur ihre Prognosen dahingehen sahen, auch alle Berechenbarkeit und das Geld werde nicht reichen, so sagten sie. 2050 machen die Letzten das Licht aus und gründen eine Immobiliengesellschaft und stellen Leute ein für kundige Führungen durch erhabene Räume.
Was Gott im Himmel machte, das sah ich nicht. Vielleicht hatte er keine Zeit für all diese Geschäfte, beschäftigt mit Gebeten derer, die keine Worte mehr fanden für ihren Glauben, den sie suchten und noch immer nicht hatten. Und manche vermissten ihn nicht, weil sie gar nicht wussten, was sie vermissen könnten und niemand ihnen davon redete.
Und ich erwachte und erschrak, weil ich merkte, dass ich lange schon wach gewesen war. Und hätte nun gern, dass es ein Traum gewesen sei, Alb- oder Wunschtraum. Denn es war mir, als ob Gott lachte. Und sein Lachen hallte wider von einem Ende der Welt zum anderen, aber all die Geschäftigen hörten es nicht, weil sie zu laut waren und die Frommen hörten es nicht, weil ihr Gott nicht lachen konnte. Und dass sie alle nur lebten, weil er lachen konnte, das sahen sie nicht. Dass er noch lacht oder lächelt und seine Liebe kein Ende habe, das wünsche ich mir und uns allen. Ob ich es glauben kann? Manchmal weiß ich selbst das nicht.
Ja, wir müssen überlegen, wie mit weniger Pfarrerinnen und Pfarrern das Evangelium weitergegeben werden kann – nur: War davon irgendwo die Rede? Wer wird diesen Beruf ergreifen oder auch nur sein Leben der Kirche widmen, wenn das ihre Arbeit sein soll?
Martin Ost, Berlin
Korrespondenzblatt Nr. 6/2018, S. 136f.: http://www.pfarrverein-bayern.de/sites/www.pfarrverein-bayern.de/files/korrespondenzblaetter/Kblatt-1806.pdf